KYC als Skalierungs- und Wettbewerbs-faktor
Interview mit Philipp Bojér, Director of Business Development DACH
Viele Unternehmen betrachten KYC primär als regulatorische Pflicht. Wo liegt aus Deiner Sicht der größte wirtschaftliche Hebel in der Automatisierung von KYC-Prozessen?
Philipp Bojér In der Kombination aus Geschwindigkeit, Kostenreduktion und Qualität. Klassische, manuelle KYC-Prozesse binden viel qualifizierte Arbeitszeit, sind fehleranfällig und kaum skalierbar. In der Praxis sehen wir, dass sich Bearbeitungszeiten von 10–30 Minuten pro Fall auf wenige Minuten reduzieren lassen. Das entspricht Einsparungen von bis zu 90 % bei Zeit und Kosten. Gleichzeitig sinken Fehlerquoten deutlich, weil Medienbrüche und manuelle Übertragungen entfallen. KYC wird dadurch nicht nur günstiger, sondern erstmals wirklich skalierbar – und das ist für viele Unternehmen ein echter Game Changer.
Warum werden internationale KYC- und KYB-Prozesse gerade im Firmenkundengeschäft so schnell zum Problem?
Philipp Bojér Der Hauptgrund ist die Fragmentierung regulatorischer Anforderungen. Jedes Land verlangt andere Dokumente, hat andere Identifikationsverfahren, Datenschutzregelungen und Risikobewertungen; auch gibt es Besonderheiten bei Registern oder Dokumenten. Hier eignet sich ein Blick auf den Unterschied von kostenfreien zu kostenpflichtigen Registern, er kann je nach Kundenstruktur zu erheblichen Kosten für die Erfüllung regulatorischer Verpflichtungen führen. Ohne eine zentrale Orchestrierung entstehen viele Sonderfälle, manuelle Workarounds und lange Durchlaufzeiten. In internationalen Setups verlängert sich das Onboarding dadurch häufig um den Faktor 2 bis 3. Unternehmen, die erfolgreich skalieren wollen, brauchen standardisierte Kernprozesse mit länderspezifischer Aussteuerung – nicht umgekehrt.
Regulatorische Anforderungen ändern sich laufend. Wie können Unternehmen ihre KYC-Prozesse stabil halten?
Philipp Bojér Entscheidend ist, Prozesse nicht statisch zu bauen. Unternehmen brauchen adaptive Systeme, die neue regulatorische Vorgaben regelbasiert abbilden können, ohne jedes Mal tief in IT oder Prozesse eingreifen zu müssen. Regelbasierte Orchestrierung, Policy-Versionierung und Low-Code-Workflows sorgen dafür, dass neue Anforderungen in Stunden oder Tagen umgesetzt werden können. So bleibt der Betrieb stabil, auch wenn sich das regulatorische Umfeld weiter verschärft.
UBO-Prüfungen gelten als besonders aufwendig. Wo liegen hier die größten Herausforderungen?
Philipp Bojér UBO-Recherchen sind komplex, weil Eigentümerstrukturen häufig verschachtelt, international und schlecht dokumentiert sind. Manuell bedeutet das viel Recherchearbeit, Dokumentenprüfung und Abgleich von Registerdaten. Auch Auskunfteien-Daten bieten hier keine echte Alternative. Da auch für diese Daten ein gesetzlicher Abgleich vorgeschrieben ist. Das führt neben den Kosten zu zusätzlichen Workaround-Aufwänden. Durch systembasierte Automatisierung lassen sich 60–80 % des manuellen Aufwands einsparen. Bearbeitungszeiten sinken von 20–40 auf 5–10 Minuten pro Fall. Gleichzeitig steigt die Qualität, weil Prüfungen konsistenter und nachvollziehbarer werden. Ein enormer Vorteil in Audits und bei Aufsichtsprüfungen.
Welche Auswirkungen haben Medienbrüche auf KYC-Prozesse?
Philipp Bojér Medienbrüche sind einer der größten Fehler- und Verzögerungstreiber. PDFs, E-Mails und manuelle Dateneingaben führen zu unvollständigen Informationen, Rückfragen und Nacharbeiten. Unternehmen, die diese Brüche eliminieren, berichten von 30–60 % kürzeren Bearbeitungszeiten und deutlich weniger Fehlern. Gleichzeitig verbessert sich die Nachvollziehbarkeit. Eine durchgängige, digitale KYC-Strecke ist heute kein Nice-to-have mehr, sondern Grundvoraussetzung.
Warum ist automatisiertes Ongoing-Monitoring entscheidend für Compliance in modernen Organisationen?
Philipp Bojér Weil Risiken sich ständig ändern. Einmalige Prüfungen reichen längst nicht mehr aus. Automatisiertes Ongoing-Monitoring reduziert Aufwände in Reviewprozessen um bis zu 95 %, weil Teams sich auf relevante Alerts zu Veränderungen konzentrieren können. Gleichzeitig werden Risiken in Echtzeit erkannt statt in periodischen Prüfungen. In der Praxis können Compliance-Teams mit gleicher Teamgröße zwei- bis viermal so viele Fälle bearbeiten – bei höherer Qualität und geringeren Risiken.
Wie wird sich KYC in den kommenden Jahren entwickeln?
Philipp Bojér Mit der neuen AML-Richtline wird es weiterhin spannend bleiben. KYC wird sich in der DACH-Region in den kommenden Jahren spürbar verändern. Der Trend nach mehr Digitalisierung wird weiter fortschreiten. Uns erwartet eine einheitliche und stärker kontrollierte Regulatorik mit risikobasiertem Charakter. Dadurch ergibt sich für Unternehmen die Notwendigkeit weg von einmaligen Prüfungen hin zum kontinuierlichen Ongoing-Monitoring. Schnelleres und digitales Onboarding wird über staatlich anerkannte eIDs, mehr Automatisierung und durch KI im Screening und in der Risikobewertung kostenreduziert umsetzbar. Aufsichtsbehörden wie BaFin, FMA und FINMA erwarten künftig nachvollziehbare, technisch robuste KYC-Prozesse. Erste Bußgelder zeigen den Trend.
Robuste und systemgestütze KYC-Prozesse kombiniert mit neuen Technologien bieten riesige Chancen für verpflichtete Unternehmen und werden etablierte Modelle ablösen?
Philipp Bojér Genau, Unternehmen, die KYC-, AML-, Fraud- und Sanktionsdaten integrieren, erhalten erstmals ein ganzheitliches Risikobild. Das reduziert False Positives, beschleunigt Entscheidungen und erhöht die Compliance-Sicherheit. RegTech und datengetriebene Lösungen werden damit zum neuen Standard, insbesondere für Unternehmen, die wachsen wollen, ohne ihre Compliance-Organisation proportional mitwachsen zu lassen.