Experten-Interview Change Management

Change beginnt im Kopf – Warum gute Führung der Schlüssel zum Wandel ist

Wenn Change-Projekte scheitern, liegt das oft nicht an der Technik, sondern an mangelnder Führung. Ralf Lanwehr, Management-Prof. an der Fachhochschule Südwestfalen, erklärt im Interview, wie Unternehmen den Wandel erfolgreich gestalten und wie man Mitarbeitende überzeugt, statt sie zu überfordern.

Studien zufolge scheitern über 70 Prozent aller Change-Projekte. Was braucht es, um Wandel erfolgreich zu gestalten – gerade bei IT-Projekten, einem Bereich, in dem Technologien schnell veralten und Menschen oft Schwierigkeiten haben, sich anzupassen?

Prof Lanwehr Ich denke, es ist schwierig mit 100-prozentiger Gewissheit zu behaupten: dieses Change-Projekt ist gescheitert – oder eben nicht. Change bedeutet Transformation und das Erreichen eines Zielzustandes, der bei den meisten Change-Projekten mehr oder weniger gut erreicht wird. Die Qualität der Zielerreichung ist dementsprechend ein Graubereich. Es gibt also nur wenige Projekte, die wirklich endgültig scheitern. Die Pkw-Maut fällt mir als ein Beispiel ein.

Gibt es KPIs, mit denen man messen kann, wie gut das angestrebte Ziel erreicht wurde?

Prof Lanwehr Die KPIs sind je nach Branche, Land oder Projekt sehr unterschiedlich. Sie können objektiv, aber auch subjektiv sein. Genau in der Subjektivität liegt auch ein wenig das Problem. Oft ist die Taktik der Unternehmensführung Change-Projekte mit rationalen Argumenten und einer ökonomischen Logik voranzutreiben: Wir machen A und B, um C und D zu erreichen, etc. So funktioniert das aber nicht. Menschen reagieren auf Change in der Regel mit Widerstand, selbst wenn sie davon profitieren. Denn zunächst wird die soziale Identität angegriffen, es steht das Gefühl im Raum: Du bist nicht gut genug!

Welche Hebel gibt es, Mitarbeitenden die Angst zu nehmen bei der Umsetzung eines Change-Projekts im Bereich IT?

Prof Lanwehr Es ist wichtig, den Wandel als Teil einer kontinuierlichen Entwicklung zu kommunizieren. Ein Beispiel: Ein Unternehmen, mit dem ich zusammengearbeitet habe, wollte eine Tablet-gestützte Sales-Lösung einführen. Übergeordnetes Ziel war logischerweise die Verbesserung von Prozessen, das Heben von Cross-Sell-Potenzialen, etc.

Schwer zu verkaufen …

Prof Lanwehr Genau, für den Kick-off hat das Unternehmen die eigene IT-Historie in einem angemieteten Hotel wie in einem Museum ausgestellt: Ein Schwarzweißfoto der ersten Festplatte, sechs Tonnen schwer, mit nur wenigen Megabyte Speicherkapazität. Ein Wandtelefon, damals neueste Technologie. Die ersten Handys von riesigem Ausmaß. Und am Ende der Entwicklungskette schließlich die neu eingeführten Tablets, also die bis dato letzte Entwicklungsstufe. So funktioniert die Geschichte.

Menschen sind unterschiedlich, ist es notwendig, sehr individuell auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzugehen?

Prof Lanwehr Das stimmt zwar, wichtig sind dennoch bei jedem Menschen drei Dimensionen, um die intrinsische Motivation zu stimulieren: Autonomie, Kompetenzempfinden, Zugehörigkeit. Diese Faktoren sind wichtig, dass Mitarbeitende Spaß an der Arbeit haben und für die Steuerung von Veränderungsprozessen unabdingbar. Angemerkt sei an dieser Stelle, dass Change ein Leadership-Thema ist. Wer führen will, muss Menschen mögen und die jeweiligen Superkräfte der einzelnen Kolleginnen und Kollegen aufspüren wollen. Das bedeutet auch, sich als Führungskraft selbst zu öffnen, Vertrauen und Verletzlichkeit zuzulassen. Auch ein gewisses Maß an Charisma, das man zum Teil übrigens auch trainieren kann, ist sehr hilfreich.

Der Willen, Change anzunehmen, und die Fähigkeit, Change umzusetzen, ist aber doch sehr unterschiedlich?

Prof Lanwehr Ja, aber auch dafür gibt es natürlich Wege. Lern-Tandems sind eine Idee. Sie funktionieren zum Beispiel oft sehr gut zwischen altersgemischten Gruppen.

Hat sich das Thema Change Management verändert in einer sich immer schneller drehenden Welt?

Prof Lanwehr Früher hat Change funktioniert wie ein Kochrezept. John Kotter hat seinerzeit das 8-Stufen-Modell entwickelt, das Schritt für Schritt abgearbeitet wurde: Ein Gefühl der Dringlichkeit erzeugen, Führungskoalition aufbauen, Vision und Strategie entwickeln, die Vision kommunizieren, Hindernisse beseitigen, kurzfristige Erfolge erzielen, Erfolge konsolidieren und weiteren Wandel einleiten, Veränderungen in der Unternehmenskultur verankern …

Das funktioniert nicht mehr?

Prof Lanwehr Im Jahr 2021 haben Smith, W. K., & Lewis, M. W. einen vielbeachteten Artikel mit dem Titel „Toward a theory of paradox: A dynamic equilibrium model of organizing“ (Academy of management Review36(2), 381-403) veröffentlicht. Diese Theorie verbindet die klassischen Ambidextrieansätze (Exploration und Exploitation) mit individuellen und teamdynamischen Aspekten, die stets ausbalanciert werden müssen, darunter:

  1. Learning: Die Fähigkeit, sich kontinuierlich neues Wissen anzueignen und innovativ zu sein.
  2. Performing: Die Fähigkeit, Effizienz und operative Exzellenz sicherzustellen.
  3. Belonging: Das Gefühl der Zugehörigkeit und sozialen Bindung innerhalb einer Organisation.
  4. Organizing: Die strukturelle und kulturelle Flexibilität, um sowohl Stabilität als auch Anpassungsfähigkeit zu gewährleisten.

Wie sorgt man dafür, dass Veränderungen auch nachhaltig Teil der Unternehmenskultur werden?

Prof Lanwehr Grundsätzlich gilt es, Organisation, Kultur und Führung im Blick zu behalten. Diese Prinzipien müssen langfristig verankert werden, also auch bei einen Führungswechsel Bestand haben und im Gleichgewicht sein. Folgendes Beispiel: Der neue General Managers eines Luxushotels krempelt nach Amtsantritt das ganze Haus um. Er steht für Qualität, dementsprechend wird das Interieur seinen Ansprüchen entsprechend kostenintensiv aufgewertet und ausgetauscht. Aber: Die Fluktuation in der Hotelleriebranche ist hoch, eine Weile später tritt ein neuer General Manager den Posten an. Der sagt dann erst mal: Habt ihr euch eigentlich mal die Buchhaltung angeschaut? So geht das natürlich nicht, es braucht also Konstanz.

About

Ralf Lanwehr ist Psychologe, Data Scientist und Professor für Management an der FH Südwestfalen mit über 20 Jahren Erfahrung als Berater. In seiner Arbeit verbindet er Organisationspsychologie, moderne Technologien und eine ausgeprägte Leidenschaft für HR. Die Kernthemen seiner Projekte sind Führung, Kultur & Change sowie People Analytics. Durch seine Tätigkeit hat Ralf einen Insider-Blick auf zahlreiche DAX-Unternehmen gewonnen, wo er als gefragter Experte und Redner auftritt. Ein besonderer Schwerpunkt seiner Expertise liegt im Profifußball: So hat er Bundesliga-Trainer im Teammanagement geschult und Analytics-Projekte für verschiedene Vereine sowie Organisationen wie DFB, DFL und BDFL geleitet.